Donnerstag, 24. Januar 2019, im Glücksbuchladen in Wuppertal Elberfeld

 

 

An diesem verregneten Januarabend leuchten die großen Schaufenster der Friedrichstraße 52 warm und verheißungsvoll gegen die einbrechende Kälte und das Tosen der Busse an, die da donnernd um den Neumarkt kurven. Vereinzelte Passant*innen, die es nach Einbruch der Dunkelheit und im Dauerregen noch in Richtung der Rathaus Galerie verschlägt, blicken im Vorbeigehen verstohlen hinein.

Drinnen haben sich bereits etwa zwei Dutzend Interessierte zu ausnehmend gutem Wein und anhaltend angeregter Diskussion schon vor der eigentlichen Lesung, dem Höhepunkt des Abends, versammelt. Wer hinzukommt, wird schnell in diese Gruppe aufgenommen. Man redet über die gelungene Pressekonferenz am vergangenen Dienstag, den Auftakt zu diesem Else Lasker-Schüler-Festjahr, klagt über die Kälte, kommt ob des Regens schnell auf das Wuppertal und landet doch immer wieder bei Else Lasker-Schüler – seiner „berühmtesten Tochter“, wie Kulturdezernent Matthias Nocke es am Dienstag noch einmal betont hatte.

Auf dem roten Samt des Büchertisches liegen Gedichtbände der Lyrikerin Else Lasker-Schüler, Biographien der Künstlerin und Kunstfigur, die sie war, und gleich danaben liegen einige Exemplare vom Grunewald im Orient; dem Buch aus dem sein Autor kurze Zeit später einige Passagen vorlesen, andere druckreif zusammenfassen und illustrative Bilder zeigen wird, die Zuhörer*innen, wie (zukünftige) Leser*innen in ein längst vergangenes Rechavia führen.

 

 

Moderiert von Hajo Jahn, dem Vorsitzenden der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft e.V., ersteht im innern des Ladenlokals der Friedrichstraße in Elberfeld die Bewohnerin der Ha-Ma’aloth-Straße in Rechavia, die nicht weit von hier am 11.02.1869 geboren wurde und nicht weit von dort am 22.01.1945 gestorben ist. Und mit ihr das ganze Viertel.

In Streifzügen durch die Vergangenheit der Gartenstadt wandeln Publikum wie Leser*innen mit Thomas Sparr durch die Topographie und ganz eigene Architektur des deutsch-jüdischen Viertels, wie seine (Geistes-)Geschichte und die seiner Bewohner*innen. Ausgehend von einer fiktiven Begegnung einiger Protagonist*innen zeichnet Sparr jeweils en miniature ein zeitgenössisches Bild des Rechavias Gershom Scholems, Walter Benjamins, Werner Krafts, Hannah Arendts, Mascha Kalékos (unter anderen) und nicht zuletzt auch Else Lasker-Schülers, sodass sich in ihrer Verschränkung ein Blick auf das Quartier der deutschen Juden, den „Grunewald im Orient“, ergibt, das sich in seiner Dichte und Fülle der Form Rechavias in allen Facetten annähert.

Else Lasker-Schülers „Traumstadt“ meint eigentlich Theben, jene ferne Stadt, die auf der Erde nicht zu finden, allenfalls als Silhouette zu sehen ist. Das Erträumte trägt bei ihr aber immer die Signatur des Wirklichen. Jede Stadt ihres Lebens, ob Wuppertal, Berlin, Zürich oder Jerusalem, nimmt in ihrem Schreiben Partikel der anderen auf. „Meine Träume fallen in die Welt.“
Thomas Sparr: Grunewald im Orient. Berlin: Berenberg 2018. 2. Auflage. S. 11.

Thomas Sparr verwebt im Laufe des Abends Passagen, wie diese, mit Aussagen, wie „sie hat dieses Wuppertal in sich getragen“, zu einem Bild Else Lasker-Schülers, das ihre Zeit in Jerusalem teils auch in ein neues Licht rückt. Wenn er sich zur vermeintlichen „Verrücktheit“ Lasker-Schülers äußert, dann ebenso ablehnend, wie er ihre „Verarmung“ in Israel auf Basis seiner Faktenkenntnis verneint.

Was manchen ihrer Zeitgenossen als Verrücktheit erschien, machte Else Lasker-Schüler gerade zur genauen Chronistin verrückter Zeitläufte, in ihrer Darstellung des Nationalsozialismus im Stück „Ichundich“, und nicht minder in ihrer Wahrnehmung der politischen Spannungen, der Not in Palästina. Ihr Geld verschenkte sie.
Thomas Sparr: Grunewald im Orient. Berlin: Berenberg 2018. 2. Auflage. S. 128.

Else Lasker-Schüler hat zum Ende ihres Lebens in Rechavia etwas vorgefunden, das sie an die Künstler*innengemeinschaft am Schlachtensee erinnert haben muss. Unwillkürlich wird sie auch Teile des Wuppertals dort für sich erinnert und gelebt haben.

In ihrem Hebräerland und in Thomas Sparrs Gunewald im Orient finden sich kunstvolle und eindrückliche Beschreibungen eines Jerusalems, das es heute in dieser Form nicht mehr gibt und das es genau so vielleicht nie gegeben hat. Doch zeigen beide Bücher auf beeindruckende Weise, wie Sehnsucht, Aufbruch und Schicksal einen (rellen) Ort finden können – und wie es gelingt, diesen mit Worten zu erreichen.

 

 

bf.
Text und Bilder: Birte Fritsch für das Kulturbüro der Stadt Wuppertal | Creative Commons

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